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100 Arten eine Mango zu essen 
Bücher: Belletristik Allgemeine Belletristik
Geschrieben von Konstanze Tants   
Donnerstag, 20. März 2008

100 Arten eine Mango zu essen

Originaltitel: The Mango Season
Übersetzt von: Stefanie Retterbush

Verlag: Bastei Lübbe
Erschienen: März 2008
ISBN: 978-3-404-15833-1
Preis: 7,95 EUR

272 Seiten
Inhalt
8.0
Preis/Leistung
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Wertung:
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Zum Inhalt:

Priya Rao ist mit zwanzig Jahren in die USA gegangen, um zu studieren. Jetzt ist sie 27 und muss ihren indischen Eltern ihre geplante Hochzeit mit einem Amerikaner beichten. Priya hat sich zwar vom Konzept der arrangierten Ehe schon lange verabschiedet, doch ihre Eltern wollen sie nun endlich mit einem "netten indischen Jungen" verheiraten. Während im Haus ihrer Großmutter das traditionelle Mangokochen zelebriert wird, versucht Priya verzweifelt, peinliche Treffen mit potenziellen Ehegatten zu umgehen. Und zwischen Chutneys und rohen Mangos stellt sie fest, dass der Zeitpunkt, um "es" ihren Eltern zu gestehen, immer ungünstiger wird. Als ihre Eltern ein Treffen mit dem "perfekten" Mann arrangieren, nimmt die Katastrophe ihren Lauf.

Meinung:

"100 Arten eine Mango zu essen" ist der zweite Roman von Amulya Malladi, welcher ins Deutsche übersetzt wurde. In diesem Buch geht es um eine junge Inderin, die in die USA gezogen ist, um dort zu studieren und sich dann nach dem Studium im Ausland ein eigenes Leben aufzubauen, so wie es die Autorin auch getan hat. In einem an den Roman angehängten Gespräch zwischen Amulya Malladi und ihrer Freundin Priya Raghupathi, die die Namensgeberin für die Romanfigur Priya Rao war, erfährt der Leser, wie viel an eigener Erfahrung der Autorin in diese Erzählung eingeflossen ist.

Die Figur der Priya ist sehr liebevoll beschrieben. Auf der einen Seite erlebt der Leser die selbstbewusste Frau, die nach Abschluss ihres Studiums erfolgreich in der IT-Branche arbeitet und sich in Amerika ein Leben aufgebaut hat, in dem sie glücklich ist. Doch mit der Heimkehr nach Indien wird aus der erwachsenen Priya eine unsichere und ängstliche Person, die sich aus Furcht vor der Reaktion ihrer traditionsbewussten Familie nicht traut, ihnen von ihrer geplanten Heirat mit dem Amerikaner Nick zu erzählen.

Priya ist bewusst, dass ihre Familie sich nichts sehnlicher wünscht, als die Tochter endlich verheiratet zu sehen - vor allem, da sie mit 27 Jahren so langsam zu alt ist für eine gute Verheiratung. Doch genauso sicher ist sich die junge Frau, dass ihre Eltern und Großeltern sie verstoßen werden, wenn diese von ihrer Beziehung zu einem Amerikaner erfahren. Denn für die sehr in ihrem konservativen Denken verhafteten Mitglieder ihrer Familie ist es absolut undenkbar, dass außer einem Telugu-Inder jemand als Ehemann in Frage käme.

Dieses Beharren auf eine Heirat mit einem Telugu, genauso wie die Aussagen der Familie über Weiße und Schwarze in Amerika, wirken rassistisch und sind doch fast schon verständlich, wenn man sich die indische Kultur vor Augen hält. Wer in einem Land lebt, das seit so vielen Jahrhunderte in einem Kastendenken gefangen ist, welches nicht einmal erlaubt, dass das "unreine" Dienstmädchen das Haus betritt, und wer in diesem Land bis jetzt nicht gezwungen war, über seine Traditionen und Regel hinwegzusehen und eine andere Perspektive einzunehmen, der kann wohl gar nicht anders denken. Dabei ist Priyas Familie immerhin bereits so "modern", dass das Dienstmädchen nur von der Küche, welche besonders "rein" gehalten werden muss, ferngehalten wird und ansonsten alle Räume des Hauses betreten darf.

Schnell wird Priya klar, dass das Indien, welches sie aus ihrer Kindheit kannte, für sie verloren ist. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, das beim Großvater auf den Knien saß und sich von ihm Geschichten erzählen ließ. Inzwischen ist sie eine erwachsene Frau, die mehr von der Welt gesehen hat, als es sich ihre traditionell eingestellten Eltern und Großeltern vorstellen können. Auch wenn für Priya Indien immer ihre Heimat bleiben wird, so hat sie sich doch so weit von ihrem Zuhause entfernt, dass sie das Gefühl hat, nie wieder zurück zu können.

Während die junge Frau versucht, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, um ihrer Familie von Nick zu erzählen, kommt es beim traditionellen Mangokochen bei der Großmutter zu einigen Ereignissen, die die Familie erschüttern. Und Priya ist nicht ganz unschuldig daran, dass auf einmal Dinge zur Sprache kommen, die sonst in ihrer Familie unter Verschluss gehalten worden wären. Die emanzipierte Frau kann nicht mit ansehen, dass ihre eine Tante zu einer dritten Schwangerschaft gedrängt wurde, damit endlich der vom Großvater ersehnte Nachfolger geboren wird, während die zweite Tante, die seit zehn Jahren auf dem Heiratsmarkt versagt, wie eine wertlose Handelsware behandelt wird. Auch die Tatsache, dass ihr Onkel Anand aus Angst vor der Reaktion der Familie heimlich eine Frau geheiratet hat, die nicht zu den Telugu gehört, macht die Stimmung in der Familie nicht besser.

Und während sich die Familienmitglieder im Haus der Großmutter versammeln, schwelen all diese Konflikte unterschwellig bei jedem Dialog mit. Erst im Laufe der langen Tage, während die Frauen die Mangos zubereiten und sich immer wieder Gelegenheiten zu kleinen persönlichen Gesprächen zwischen ihnen ergeben, lernen die einzelnen Mitglieder der Familie Rao einander wirklich kennen. Und Priya sieht sich hin- und hergerissen zwischen ihrer Rolle als Tochter und Enkelin und der als Geliebte und zukünftige Ehefrau. Sie will weder die Liebe ihrer Familie aufs Spiel setzen noch ihre Beziehung zu Nick riskieren.

Amulya Malladi schafft es, eine Seite von Indien zu zeigen, die kaum etwas mit dem zu tun hat, was man in einem schrillen Bollywood-Film zu sehen bekommt. Liebevoll und mit feinen Strichen zeichnet die Autorin das Bild einer Familie, der die einzelnen Mitglieder sehr wertvoll und kostbar sind, und die doch aufgrund ihrer engstirnigen und altmodischen Vorstellungen ohne Hemmungen den anderen verletzen, wenn es darum geht, die Tradition zu wahren.

Gerade dieser anhand der Familie Rao gezeigte Wandel Indiens von seinen strengen Traditionen zu einer Kultur, in der ein modernes Leben auch für Frauen möglich ist, machen das Buch zu einer überzeugenden Geschichte. Bei dem Versuch, einen neuen Weg zu gehen, streifen die jungen Inder die alten Traditionen ab, ohne dass ihnen erst einmal bewusst wird, dass sie damit auch etwas für sie Wichtiges verlieren. Dieser Balanceakt zwischen den alten Werten, den frauenverachtenden Gebräuchen genauso wie den Traditionen, die auch noch heutzutage ihren Sinn haben, und einem neuen selbstbestimmten Leben, in dem gerade die Frauen die Möglichkeit haben sollten, ihren eigenen Weg zu wählen, machen diese mitreißende Erzählung zu mehr als einem amüsanten Frauenroman.

Fazit:

Amulya Malladi hat mit "100 Arten eine Mango zu essen" auf der einen Seite eine sehr unterhaltsame Geschichte über eine junge Frau und ihre Familie geschrieben. Doch auf der anderen Seite zeigt die Autorin mit ihrem Roman auch für den Europäer verständlich auf, welche Schwierigkeiten für eine Inderin oft damit verbunden sind, wenn sie heutzutage versucht, ein modernes Leben zu führen. Diese Zerrissenheit zwischen den eigenen Bedürfnissen und der traditionellen Rolle einer Tochter in einem indischen Haushalt machen die Hauptfigur Priya zu mehr als nur einer ängstlichen Tochter und einer erfolgreichen Karrierefrau. Sie wird zum Anstoß dafür, dass ihre traditionsbewusste Familie sich einen neuen Weg suchen muss, um mit den veränderten Lebensbedingungen in einem Indien des 21. Jahrhunderts zurechtzukommen.
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