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100 Bullets 9: Neun Leben hat die Katze
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Comics: Amerika Krimi & Thriller | |
Geschrieben von Manuel Tants | |
Montag, 1. Juni 2009 | |
100 Bullets 9: Neun Leben hat die Katze Autor: Brian Azzarello Zeichner: Eduardo Risso Originaltitel: 100 Bullets Vol. 9: Strychnine Lives Übersetzt von: Claudia Fliege Reihe: 100 Bullets 9. Band der Reihe Verlag:
Vertigo
Format:
Softcover
Erschienen: August 2008 ISBN: 978-3-86607-627-3 Preis: 24,95 EUR 208 Seiten |
Das Spiel zwischen dem Trust und dessen Ex-Vollstrecker Agent Graves ist in vollem Gange. Die meisten Bauern sind vom Brett, und nun sind die Springer am Zug. Für die Häuser der Trust-Familien wie für die ehemaligen Minutemen heißt es jetzt, Bündnisse zu festigen, Stellungen zu konsolidieren - und andere wichtige Figuren aufs Korn zu nehmen. Die Könige sind damit beschäftigt, sich aus dem Schach herauszuhalten, aber vielleicht bereiten sie unterdessen die Opferung ihrer Damen vor. Die Frage ist, ob sie über eine Strategie verfügen, die ihre Züge unterstützt - oder über ausreichende Kräfte auf dem Spielfeld.
Im neunten Band ihres beeindruckenden Thriller-Meisterwerks "100 Bullets" setzen Brian Azzarrello und Eduardo Risso ihre Linie konsequent fort: Nachdem nunmehr etwa zwei Drittel der gesamten Geschichte erzählt sind, klären sich sowohl für die beteiligten Figuren als auch für den Leser endlich ansatzweise die Fronten, und es lässt sich erahnen, wer welche Absichten verfolgt - was aber natürlich längst nicht bedeutet, dass die Handlung vorhersehbar und weniger geheimnisvoll als bisher wäre. Doch inzwischen haben immerhin die meisten Akteure im blutigen Kampf zwischen dem mächtigen Konsortium des Trust und ihren ehemaligen Handlangern, den Minutemen, die Bühne betreten und versammeln sich in Miami. Somit kann der Leser beginnen, sich Gedanken darüber zu machen, wo die Loyalitäten dieser Figuren liegen - und ob diese Überzeugungen möglicherweise veränderbar sind.
"Neun Leben hat die Katze" zeigt alle Fraktionen bei der Vorbereitung ihrer weiteren Schritte: Lono hat inzwischen sein Einzelgänger-Dasein aufgegeben und besucht nun gemeinsam mit seinem "Schüler" Loop den bisher ebenfalls unabhängigen Victor, um ihn davon zu überzeugen, ebenfalls für Lonos neuen Arbeitgeber tätig zu werden. Agent Graves kontaktiert noch einmal den ehemaligen Minuteman Jack Daw, der jedoch nicht einmal ansatzweise in der Lage zu sein scheint, andere Interessen als seine eigenen zu verfolgen. Und auch der eigentlich in Paris ansässige Journalist Mr. Branch begibt sich nach Miami, wo er ursprünglich mit Megan Dietrich verabredet war, stattdessen aber auf den eiskalten Cole Burns trifft.
Azzarello ist ein wahrer Meister der Verflechtung multipler Erzählstränge. Das komplexe Gefüge von Rivalen, Verbündeten, Einzelgängern und Verrätern ist extrem sorgfältig konstruiert. Dadurch erscheinen auch die recht zahlreichen Zufallsbegegnungen zwischen den Figuren jederzeit glaubwürdig - zumal natürlich offen bleibt, ob diese Treffen nicht vielleicht doch von einem unsichtbaren Strippenzieher arrangiert wurden. Auch die Verkettung der Haupthandlung mit einer eher unbedeutend erscheinenden Nebengeschichte, die dann aber meist doch auf irgendeine Weise das Handeln der zentralen Akteure beeinflusst, gelingt ihm stets makellos. So wird in "Neun Leben hat die Katze" das Schicksal des Hotelpagen Tino beleuchtet, der seine Freundin an den Gangster Bosco verlor. Doch Tino freundet sich mit dem Hotelgast Spain an, der in der Lage zu sein scheint, dieses Problem zu lösen.
Eduardo Risso ist der perfekte Illustrator für dieses bis ins letzte Detail durchkonzipierte Gesamtkunstwerk: Seine Zeichnungen rücken die Charaktere vielsagend ins richtige Licht - bzw. in den Schatten, denn strahlende Figuren gibt es in der verdorbenen Welt von "100 Bullets" nicht, und folgerichtig sind auch die Bilder stark von Dunkelheit geprägt. Der argentinische Künstler kann nicht nur die oft schonungslos brutalen Handlungen der Figuren mit der nötigen Drastik darstellen, sondern gewährt über die ausdrucksstarke Mimik der Personen zusätzlich tiefe Einblicke in ihr Seelenleben. Die oftmals ungewöhnlichen Perspektiven ergänzen den zwischen Frank Miller und Mike Mignola angesiedelten, aber deutlich abgerundeteren Zeichenstil Rissos und machen ihn somit unverkennbar.
Neben den brillanten Zeichnungen Rissos und der durchweg spannenden Handlung sind es jedoch vor allem die pointierten Dialoge, die viel Lesevergnügen erzeugen. Die Gespräche sind lebensnah und stilistisch genau an das soziale Umfeld der Sprecher angepasst, stecken aber oftmals gleichzeitig voller tiefer Bedeutung. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass man als Leser zu keiner Sekunde Zweifel daran hat, dass die Künstler haargenau wissen, wo diese einzigartige Geschichte hinführen soll. Mit wohldosierten Enthüllungen und ausgesprochen wirksam vorbereiteten Wendungen treiben Azzarello und Risso die knallharte und alles andere als zimperlich präsentierte Handlung voran. In einer Comicindustrie, die vor allem auf das endlose, sich selbst wiederholende Ausschlachten gängiger Standards fokussiert ist, stellt ein von vorn bis hinten durchkonzipiertes Werk wie "100 Bullets" eine überaus willkommene Ausnahme dar.
Die berühmten "Rache-Koffer", die Agent Graves zu Beginn der Reihe noch so großzügig verteilte, spielen in der Handlung von "100 Bullets" inzwischen kaum noch eine Rolle. Doch das stört keineswegs, denn so interessant und großartig dieses Konzept auch ist: Als Leser ist man inzwischen viel mehr an den Hintergründen des Trust und den Rivalitäten unter den Minutemen interessiert. Und in dieser Hinsicht wird man von Azzarello und Risso in "Neun Leben hat die Katze" wirklich großzügig bedient, denn fast alle wichtigen Figuren treten in Erscheinung und gewähren einen Einblick in ihre aktuellen Bemühungen, die Gegenseite direkt zu schädigen oder zumindest ins offene Messer laufen zu lassen. Dennoch bleiben viele Geheimnisse vorerst im Verborgenen, und zahlreiche Fragen sind weiterhin offen - so ist gewährleistet, dass der Leser auch in den folgenden Bänden noch eine Menge finsterer Abgründe zu entdecken hat.