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So finster die Nacht  Redaktionstipp
Bücher: Belletristik Krimi & Thriller
Geschrieben von Jano Rohleder   
Montag, 2. Februar 2009

So finster die Nacht

Originaltitel: Låt den rätte komma in
Übersetzt von: Paul Berf

Untergenre: Vampir-Horror
Verlag: Bastei Lübbe
Erschienen: September 2007
ISBN: 978-3-404-15755-6
Preis: 8,95 EUR

640 Seiten
Inhalt
10.0
Preis/Leistung
9.0
Gesamtwertung
9.9

Wertung:
9.9
von 10
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Zum Inhalt:

Wenn das Unfassbare Einzug hält, nimmt es anfangs niemand wahr ... In dem Stockholmer Vorort Blackeberg wird die Leiche eines Jungen gefunden. Sein Körper enthält keinen Tropfen Blut mehr. Alles deutet auf einen Ritualmörder hin. Noch ahnt niemand, was tatsächlich geschehen ist. Auch der 12-jährige Oskar verfolgt fasziniert die Nachrichten. Wer könnte der Mörder sein? Und warum sind in der Nachbarwohnung die Fenster stets verhangen ...

Meinung:

Der 12-jährige Oskar, der in Blackeberg - einem Stockholmer Vorort - lebt, hat es nicht leicht. Er ist relativ klein, etwas dicklich und in seiner Schule haben einige einen Heidenspaß daran, ihn zu ärgern und regelrecht zu quälen. Allen voran Jonny, der mit ihm in eine Klasse geht. Erst, wenn Oskar seinem Spitznamen gerecht wird und wie ein kleines "Schweinchen" quiekt, sind Jonny und seine Freunde zufrieden.

Oskar lässt dies über sich ergehen, doch für seine Psyche ist die Behandlung, die er durch seine Mitschüler erfährt, nicht gerade förderlich. Er klaut (vornehmlich Schokoriegel), um sich zumindest in diesen Momenten ein bisschen stark und unbezwingbar zu fühlen und hat eine fast schon krankhafte Vorliebe für Zeitungsartikel über Massenmörder und Mordfälle. Nach dem jüngsten Übergriff von Jonny und seinen Kumpanen kommt es sogar so weit, dass sich Oskar heimlich in den Wald schleicht und spielt, er wäre selbst ein Mörder. Mit einem großen Küchenmesser bringt er Jonny zur Strecke - in diesem Fall handelt es sich nur um einen wehrlosen Baum, doch wer weiß, ob aus dem Spiel nicht bald bitterer Ernst würde, wenn ... ja, wenn es nicht im Wald der benachbarten Ortschaft just zur gleichen Zeit zu einem rätselhaften echten Mord an einem Jugendlichen käme.

Am nächsten Tag sind die Zeitungen voll davon und Oskar ist fasziniert und verängstigt zugleich. Ob er vielleicht magische Kräfte besitzt und sein Baum als eine Art Voodoo-Puppe gedient hat? Nein, diese seltsame Ahnung kann bald schon ausgeschlossen werden, als Oskar herausbekommt, wie der Jugendliche wirklich ermordet wurde. Kopfüber wurde er an einem Baum aufgehängt, die Kehle wurde ihm durchgeschnitten und man hat ihn regelrecht ausbluten lassen.

Vom Mörder fehlt jede Spur und so verbieten natürlich sämtliche Eltern ihren Kindern das Betreten des Waldgebiets. Oskar hält es aber auf Dauer nicht in seinem Zimmer aus, weshalb er am Abend ein bisschen im Hof spielt ... wo er auf ein seltsames Mädchen trifft, das mitten auf dem sich dort befindlichen Klettergerüst steht. Überaus sportlich muss die Kleine sein, denn sie springt mit einem einzigen Satz zu ihm herunter. Allerdings müffelt sie ziemlich stark - und seltsam verhält sie sich noch dazu. Denn statt einer Begrüßung teilt sie Oskar einfach nur mit, dass sie seit Kurzem im Nebenhaus wohnt und sie und Oskar keine Freunde werden können. Bevor Oskar irgendetwas darauf erwidern kann, ist das Mädchen bereits im Haus verschwunden.

Trotz dieser merkwürdigen ersten Begegnung und der gegenteiligen Aussage freunden sich Oskar und das Nachbarmädchen - das, wie sich herausstellt, Eli heißt - nach einigen mehr oder weniger zufälligen Treffen im Laufe der nächsten Tage an. Sie üben sogar das Morsealphabet, um sich mithilfe von Klopfzeichen durch die Wand hindurch verständigen zu können (es handelt sich um Reihenhäuser und Elis Wohnung liegt direkt neben Oskars Zimmer). Doch bald muss sich Oskar fragen, ob er seine neue Spielgefährtin wirklich auch nur ansatzweise kennt. Ist der komische ältere Herr, der mit ihr zusammenwohnt, tatsächlich ihr Vater? Warum verschwindet er ausgerechnet zu der Zeit, als der gesuchte Flüchtige nach einem gescheiterten weiteren Mordversuch geschnappt wird? Und warum sehen sich Oskar und Eli immer nur abends oder nachts?

Auf knapp 650 Seiten erzählt John Ajvide Lindqvist eine Geschichte von Leiden und Schmerz, Freundschaft, Liebe und Rache - und schafft dabei etwas, das Genrespezialisten wie David Wellington ("Der letzte Vampir") seit Jahren immer wieder nur versprechen: einen wirklich neuartigen Vampirroman zu schreiben. Dabei rutscht er zum Glück nicht in die kitschig-seichten Gefilde ab, denen die Blutsauger seit einiger Zeit immer wieder zum Opfer fallen. Hier kommen keine romantisierten Klischee-Anhimmel-Helden vor. Wenn Eli auf die Jagd geht, wird sie - nicht nur optisch - zu einem echten Monster. Und doch ist sie nicht das personifizierte Böse, denn sie mordet nicht zum Spaß, sondern weil sie nur so überleben kann.

Auch insgesamt lassen sich die Vampire dieses Romans in keine bestimmte Ecke schieben. Eli selbst sieht ihren Zustand eher als eine Art Seuche - eine extrem seltene Krankheit. Sie schläft weder in einem Sarg noch ist sie wirklich tot. Doch muss sie die Gebissenen durch einen Genickbruch oder durch Verbrennung töten, da sich diese angesteckt haben und sich sonst in Untote verwandeln ...

So ganz steigt man als Leser nicht dahinter, welchen Konventionen und Regeln die Vampire in "So finster die Nacht" nun unterliegen, aber das ist auch gar nicht nötig - und vermutlich sogar vom Autor so beabsichtigt. John Ajvide Lindqvist lässt sehr viel Spielraum für Interpretationen, womit es letztlich beim Leser liegt, die Handlung zu deuten. Verspürt Eli wirklich Freundschaft oder gar Liebe für Oskar oder ist dies nur der geschickte Trick eines teuflischen Wesens, um sich einen Menschen als benötigten Handlager gefügig zu machen? Die Geschehnisse des Romans bieten sowohl für die eine als auch für die andere Möglichkeit einige Anhaltspunkte - und gerade das macht ihn so hervorragend. Während man sonst ausschließlich Schwarz oder Weiß vorgesetzt bekommt und die Vampire entweder das Böse schlechthin oder geheimnisvolle "Helden" darstellen, bleibt es bei "So finster die Nacht" dem Leser überlassen, Elis Charakter für sich zu erschließen und sie als tragische Figur oder als Monstrum zu erkennen.

Man sollte zudem nicht den Fehler machen, "So finster die Nacht" mit "Der kleine Vampir" zu verwechseln. Zwar sind sich die Thematiken in sehr groben Grundzügen ähnlich, aber im Gegensatz zu den netten, leicht grusligen Kindergeschichten von Angela Sommer-Bodenburg ist John Ajvide Lindqvists Roman ein waschechter Thriller, bei dem es öfters mal ziemlich blutig und teilweise auch wenig appetitlich zur Sache geht. Das Buch bietet zwar handlungsmäßig keine echten Überraschungen im Hinblick auf unerwartete Wendungen o.Ä., bleibt aber dennoch von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Dabei wirkt der ruhige Stil, in dem Lindqvist seine leicht melodisch anmutende Geschichte erzählt, geradezu hypnotisch und man kann das Buch kaum aus der Hand legen, bis man ihm auch noch seinen Schluss entlockt hat. Auch das hervorragend atmosphärische Setting trägt seinen Teil dazu bei. Vampirgeschichten müssen nicht in osteuropäischen Schlössern, Fantasyländern oder amerikanischen Großstädten spielen. Dieser Roman beweist, dass mithilfe eines kleinen, verschneiten Vororts von Stockholm eine mindestens ebenso unheimliche und düstere Stimmung aufgebaut werden kann.

"So finster die Nacht" ist einer der besten Vampirromane der letzten Jahre - wenn nicht sogar der beste - und hat das Zeug dazu, ein echter moderner Klassiker zu werden. Auch die im Jahr 2008 entstandene, überaus gelungene Verfilmung (die allerdings inhaltlich sehr stark gekürzt ist und noch mehr Spielraum für Interpretationen lässt) erfreute sich weltweit großer Beliebtheit bei den Kritikern. Für 2010 plant Matt Reeves, der Regisseur von "Cloverfield", bereits ein amerikanisches Remake auf Basis einer eigenen Adaption des Romans. Allerdings bleibt fraglich, inwieweit sich die einmalige Stimmung der Vorlage beibehalten lässt, wenn man die Handlung in die USA versetzt.

Negativ muss bei dem Band einzig angemerkt werden, dass sich Bastei Lübbe mal wieder für einen extrem nichtssagenden Titel aus dem Möchtegern-Spannungs-Fundus entschieden hat. Das Original ("Låt den rätte komma in", auf Deutsch "Lass den Richtigen herein"), das sich vom Morrissey-Song "Let The Right One Slip In" ableitet, gibt die Stimmung des Romans - und das, um was es in der Geschichte eigentlich geht - deutlich besser wieder. "So finster die Nacht" könnte schließlich genauso gut der Titel des neuesten Alex-Cross-Romans oder jedes anderen x-beliebigen Thrillers sein ... Auch insgesamt wirkt die Übersetzung an einigen Stellen etwas holprig (man fragt sich zudem, ob die teilweise sehr willkürlichen Wechsel zwischen Vergangenheitsform und Präsens von einem Satz zum andern tatsächlich Absicht sind). Letztlich bietet sie aber nicht allzu übermäßig großen Grund zur Kritik.

Fazit:

Mit "So finster die Nacht" hat es der Schwede John Ajvide Lindqvist geschafft, einen der besten Vampirromane der letzten Jahre zu schreiben, der von seiner hervorragenden Atmosphäre und der relativ ruhigen Erzählweise lebt. Dabei leistet sich der Thriller keinerlei Längen und die knapp 650 Seiten sind im Nu gelesen. Sehr erfrischend ist die Tatsache, dass Lindqvist seine Vampire weder als romantische Helden noch als bloße böse Monster darstellt, sondern ihnen eine erfreuliche Tiefgründigkeit verleiht, die es letztlich dem Leser überlässt, die wahren Absichten der Blutsauger zu interpretieren. Eine faszinierende, spannende, melodische Geschichte, die man heute schon getrost als modernen Klassiker bezeichnen darf. Zum Start des Kinofilms wurde im November 2008 übrigens eine neue Ausgabe mit dem deutlich passenderen Motiv des Filmplakats als Cover aufgelegt (ISBN 978-3-404-16339-7). Diese kostet allerdings einen Euro mehr als die Originalausgabe - und da beide inhaltlich identisch sind, kann man ohne Bedenken zur 2007er-Fassung greifen, die parallel nach wie vor erhältlich ist.
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