Comics: Amerika Horror & Mystery
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Geschrieben von Manuel Tants
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Dienstag, 28. Oktober 2008 |
Hellboy 6: Sieger Wurm
Originaltitel: Mike Mignola's Hellboy: Conqueror Worm 6. Band der Reihe
Format:
Hardcover
Erschienen: August 2006 ISBN: 978-3-936480-26-9 Preis: 19,80 EUR 160 Seiten
Inhalt |
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Zeichnungen |
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Eine Burg tief im österreichischen Gebirge. Im Zweiten Weltkrieg führt eine amerikanische Spezialeinheit hier ein Sabotageattentat gegen ein geheimes Raumfahrtprojekt der Nationalsozialisten durch. Bevor eine gewaltige Explosion das finstere Gemäuer zerreißt, gelingt es den Nazis jedoch, den ersten Menschen ins All zu schießen ... Mehr als 60 Jahre später befindet sich die Raumkapsel im Landeanflug auf die Erde. Alarmstufe Rot für die "Behörde zur Untersuchung und Abwehr paranormaler Erscheinungen": Hellboy wird zu den Ruinen der Burg entsandt, um die Rakete und ihren unheimlichen Passagier in Empfang zu nehmen ... In den mittelalterlichen Gewölben lauert ein wahres Schreckenskabinett auf Hellboy - tot geglaubte Feinde, Neonazis, Frankenstein-Gorillas, eine Armee von Geistern und ... das Grauen aus dem All. Doch nicht nur diese unheilige Allianz gibt Anlass zur Sorge, dass die B.U.A.P. ihren besten Agenten bei dieser Mission verlieren wird.
Band 6 der Hellboy-Veröffentlichung von Cross Cult enthält mit "Sieger Wurm" nach zwei Sammlungen kürzerer Abenteuer wieder eine lange Geschichte, in der es Hellboy und seinen neuen B.U.A.P.-Kollegen Roger, den Homunkulus, in die österreichischen Alpen verschlägt. Dort steht die Ruine der Burg Hunte, ein ehemaliges Forschungslabor der verrücktesten unter den verrückten Wissenschaftlern im Dienst der Nationalsozialisten. Wie es sich für eine Hellboy-Geschichte gehört, treffen die Agenten dort allerdings auf noch viel größere Probleme, als sie erwartet hatten - und diesmal kommen nicht nur die Agenten, sondern auch der Rest der Welt wirklich nur äußerst knapp mit heiler Haut davon.
"Sieger Wurm" stellt einen enorm wichtigen Wendepunkt dar, sowohl für Hellboy als Charakter, der am Ende des Bandes eine schwerwiegende Entscheidung fällt, als auch für die gesamte Comicserie. Denn die Geschichte markiert das Ende der Unbekümmertheit, die zuvor viele von Hellboys Abenteuern auszeichnete. Amüsante Episoden wie "Der Leichnam" oder "Pfannkuchen" wird es in Zukunft wohl so schnell nicht mehr geben - und selbst einige der eher anekdotenhaften Kurzepisoden der Vergangenheit bekommen im Nachhinein oft noch einen düsteren Unterton verliehen, wenn dem Leser nun klar wird, dass es sich dabei nicht nur um Begegnungen mit unbedeutenden "Monstern der Woche" handelte, die nach dem Gefecht vergessen sind, sondern Hellboy sich hier mitunter Feinde fürs Leben geschaffen hat. So steckt bereits "Sieger Wurm" voller Rückbezüge auf vergangene Abenteuer und verleiht dem zuvor betont weitmaschig gestrickten Hellboy-Universum dadurch auf einen Schlag eine viel stärkere Kohärenz, die in zukünftigen Bänden noch weiter vertieft werden wird.
Als Beispiel für diese Entwicklung mag auch die Figur des Lobster Johnson dienen: Seinen ersten Auftritt hatte der als Hommage an die maskierten Rächer der 30er-/40er-Jahre wie etwa "The Spirit" oder "The Shadow" konzipierte Kämpfer für Recht und Ordnung in der Geschichte "Der Killer in meinem Kopf". Das kurze Abenteuer, das 1938 spielt, erschien zwar als Ergänzungsgeschichte in einem Hellboy-Heft, schien darüber hinaus aber kaum eine Verbindung zu dessen Welt zu haben. Auch in "Sieger Wurm" wird der Lobster anfangs als reiner Groschenroman-Held, als bloßes Geschöpf der Popkultur abgetan - und doch stellt sich bald heraus, dass er nicht nur im Jahre 1939 an der Zerstörung der Burg Hunte beteiligt war, sondern auch aus dem Jenseits immer noch für das Gute kämpfen kann. Es ist Mignolas Leistung als Autor hoch anzurechnen, dass die zuvor erschienenen Geschichten auch die "Zusatzlast", die ihnen durch die nachträglich verliehene Bedeutung für den Gesamtkontext aufgebürdet wird, mühelos zu tragen vermögen.
Da die weitere Handlung nach "Sieger Wurm" in eine deutlich andere Richtung umschwenken wird, sieht man in diesem Band auch bis auf Weiteres zum letzten Mal Nazis als Gegner Hellboys. Doch sogar die anfangs vor allem als überzogene Klischee-Schurken eingesetzten Wahnsinnigen, die im Zeichen des Hakenkreuzes arbeiten, bekommen in diesem Band eine erstaunliche Charaktertiefe verliehen, was am Schicksal einer Kollaborateurin besonders deutlich wird: Sie bleibt zwar bis zuletzt ihren verblendeten Idealen treu, doch gleichzeitig hat Mignola ihr eine Szene spendiert, in der der Leser angesichts ihres Schicksals beinahe zu Tränen gerührt ist.
Inhaltlich beginnt hier also eine Neuausrichtung von Hellboys Abenteuern, bei den Zeichnungen aber bleibt alles beim herrlich anzusehenden Alten: Mignolas einzigartig kantiger, von Schwärze geprägter Zeichenstil eignet sich ebenso für rasante Prügeleien wie für emotionale Momente, für stille Naturimpressionen wie für bombastische Szenen der Apokalypse. Als besonders herausragend bleiben jedoch die drei fast wortlosen Seiten im dritten Kapitel im Gedächtnis, in denen Hellboy entdeckt, was seit über 60 Jahren in den tiefen Kellern der Burg verborgen ist - das ist perfekt inszenierter Horror, der sich nicht mit einer oberflächlichen Schockwirkung begnügt; hier empfindet der Leser aufrichtiges Entsetzen, das noch lange nachwirkt.
Auch "Sieger Wurm" erscheint als schwarzweiße Hardcover-Ausgabe im A5-Format, wie es bei Cross Cult üblich ist. Neben einer Sektion mit Mignola-Skizzen und den schon obligatorischen Hellboy-Illustrationen deutscher Zeichner bietet der Band als exklusive Dreingabe eine umfassende und präzise Timeline aller für die Welt von Hellboy wichtigen Ereignisse. Die Übersicht reicht bis zu den Ereignissen im B.U.A.P.-Band "Die Froschplage". Sie wurde ursprünglich von Jason Hall zusammengestellt und von Übersetzer Michael Groenewald ins Deutsche übertragen und erweitert.
Mike Mignola liefert mit "Sieger Wurm" nicht nur einen fabelhaften Action-Comic ab, in dem es Hellboy mit einem Gegner von in der Serie bis dahin unübertroffenen Dimensionen zu tun bekommt, sondern konfrontiert seine Figuren - und damit auch den Leser - mit drastischeren Situationen als je zuvor. So verschiebt sich die Stimmung der Geschichte deutlich in Richtung Schwermut, ohne dass dies als allzu großer Bruch zu den bisherigen Abenteuern Hellboys wahrgenommen wird. "Sieger Wurm" markiert das Ende einer wichtigen Phase für Hellboy und legt gleichzeitig den Grundstein für die folgenden Ereignisse, die aus den launigen Erlebnissen eines Dämons im Trenchcoat eine großartige, dramatische und emotional ergreifende Saga werden lassen.